So dann komme ich zum zweiten Teil meiner Erinnerung, an diesen
durch aus schönen Beruf.

Doch was war eigentlich das Problem? Ja er sprach unsere Sprache
nicht. Er hatte extreme Kontrakturen und Schluckstörungen, so dass er
nur passierte Kost haben konnte. Dadurch war er zusätzlich sozial isoliert.
So oder so ließ es sich halt nicht auf Dauer vermeiden, dass
ich ihn nicht auch einmal versorgen musste. Ich bin natürlich schon mit
entsprechend negativer Einstellung zu ihm gegangen und war deshalb nicht so
aufmerksam wie gewohnt. Doch ein fand ich doch merkwürdig. Er lag seit fast 2 Jahre
nur im Bett und sollte starke Kontrakturen haben, aber keinen Spitzfuß hatten
wie es bei den Meisten war. Aber trotzdem war ich auch entsprechend genervt als
ich sein Zimmer verließ. Es war genauso, wie immer alle gesagt haben.
Doch irgendwie ging mir das mit dem Spitzfuß nicht aus dem Kopf
und ich schaute mir nochmal seine Akte an. Die Diagnosen deuten nicht auf etwas
Entsprechendes hin. Auffällig war, dass er viele Sedativa bekam und trotzdem
noch so extrem wehrig war. Ich beschloss ihn eine Zeitlang zu versorgen, wenn
ich im Dienst war. Alle anderen wunderten sich zwar, aber nahmen dies gerne
hin. Nach wenigen Versorgung war ich mir relativ sicher, dass es sich nicht um
Kontrakturen handelte, sondern nur extreme Körperspannungen. Des Weiteren fiel
mir auf, dass er tatsächlich versuchte mit mir zu reden, aber da ich dem
russischen nicht mächtig bin habe ich ihn nicht verstanden. Aber auch eine
russische Kollegin konnte ihn auf Grund der Aussprache nicht verstehen.
Also fing ich an mit Ihm im Bett Bewegungsübungen zu machen.
Seine Beine waren voll beweglich, aber die Spannungen gingen dadurch nicht weg.
Bei der nächsten Visite lies ich unter Protest der Kollegen die Sedativa
reduzieren. Dies führte dazu, das die Kollegin ihn irgendwann verstehen konnte
und sich herausstellte, dass er tatsächlich zu einer Willensäußerung fähig ist.
Daraufhin haben wir angefangen ihm Milchbrötchen statt passierte kost zu geben
und zum Mittag weiche Lebensmittel. Denn seine Schluckstörungen nahmen auch
stark ab, da wir mittlerweile die Sedativa ganz abgesetzt hatten.
Doch es
blieben weiter 2 Probleme und nach dem Erfolg hatte mich der Ehrgeiz gepackt.
An einem Tag habe ich es mit Hilfe eines Kollegen einfach mal gewagt. Ich habe
seine Bewegungsübungen gemacht um die Muskulatur weicher zu machen und dann
haben wir ihn an seinen Rollator gestellt. Durch die Spannungen viel er auch
nicht um als wir Ihn losließen. Die ersten Tage schoben wir Ihn mehr als dass
er lief, aber über die Wochen konnte er irgendwann ca. 50-100m an Stück alleine
am Rollator laufen. Die daraus resultierende Erschöpfung führte dazu, dass wir
Ihn tatsächlich in einen Rollstuhl setzen konnten und er am Tisch im Essraum seine
Milchbrötchen oder auch mal ein Ei alleine essen konnte. Auch Obst zwischendrin
konnte er nun alleine Essen.
Er blühte tatsächlich richtig auf. Sprach mit den
Pflegekräften und den anderen Bewohner, auch wenn sie ihn nicht verstanden und konnte
sogar ab und zu lachen. Morgens ging ich mit Ihm auch immer mal wieder über den
Balkon, wo er gerne
die Sonne genoss und es liebte an den Blumen zu riechen.
Es war schön zu sehen, dass es doch immer wieder Menschen gibt, die im
Pflegeheim noch einem richtig anfangen können zu leben. Klar er war immer noch
sehr eingeschränkt, aber er konnte wieder ein soziales Umfeld aufbauen und auch
mal lachen.
Aber besonders war auch die Begegnung mit seiner Tochter.
Diese kam in der Regel einmal die Woche und hatte die ganze Leidensgeschichte
mitbekommen. Es war eine Genugtuung zusehen, dass sie vor Freude anfing zu
weinen, als sie die Station betrat und ihren Vater am Rollator auf sich zulaufen
sah.
Also denkt immer daran, hinterfragt ruhig mal die
angeblichen Tatsachen. Geht immer mit offenen Sinnen in die Pflege und vertraut
auf euren Instinkt.
© Heiko Pietsch
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