Schaden die Pflegestärkungsgesetze der Pflege?


Die Pflegestärkungsgesetze werden als Heilsbringer und notwendige Reform gepriesen und gelten als Zeichen dafür, dass die Regierung die Probleme in der Pflege erkannt hat und handelt. Doch sind die Gesetze tatsächlich ein Segen für die Pflege oder doch wieder nur unüberlegte Augenwischerei, welche an Ende mehr Schade anrichtet als das Sie hilft.


Warum ich gerade jetzt darüber schreiben möchte hat mehrere Gründe. Erst einmal ist das Pflegestärkungsgesetz 2 nun seit fast 10 Monaten aktiv und es gibt entsprechend erste Eindrücke aus der Praxis. 
Dann habe auch ich das Kuschel-Duell zwischen Frau Merkel und Herrn Schulz gesehen und stolperte über Frau Merkels Äußerung, dass es schließlich 20% mehr Geld in der Pflege zur Verfügung gestellt worden ist. 
Zu guter Letzt wurde ich vor ca.  2 Wochen von einer Studentin zu Themen in der Pflege interviewt und dort ging es unter anderem um die Auswirkungen von Pflegegraden und dem NBA auf die Pflegesituation.

Aber noch einmal kurz zur Erinnerung, was ist denn eigentlich geändert worden. Das Pflegestärkungsgesetz 1 und 3 lasse ich bei der Betrachtung erst einmal außen vor.
Also es wurde der Beitrag zur Pflegeversicherung angehoben. Das sind die bereits erwähnten 20% mehr Geld von denen Frau Merkel gesprochen hat, was natürlich mal wieder hauptsächlich Normal- und Geringverdiener trifft.
Dann wurden die 5 Pflegestufen (Pflegestufe 0 und Härtefall mitgezählt) in 5 Pflegegrade umbenannt und die Eingeschränkte Alltagskompetenz mit einbezogen. Zusätzlich wurde eine neuen Begutachtungs-Assessment eingeführt, bei nun der Pflegegrad nach einem Punktsystem bewertet wird statt wie zuvor nach Minuten berechnet. 

Und, ja auch die Budgets für die Pflegegrade wurde nach oben angepasst, so dass jedem Pflegebedürftigen nach dem 1.1.2017 mehr zur Verfügung steht als davor.

Mehr Gerechtigkeit durch neue Kriterien

Ganz kurz zum neuen Begutachtungs-Assessment. Ja, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ja, hier war man wieder einmal nicht mutig genug und hat an der Realität vorbeigeplant. Denn wie wir es alle aus der Praxis kennen, kann eine geistige Beeinträchtigung leicht den 3 bis 4-fachen Aufwand bedeuten, dies wir auch im NBA nicht ausreichend gewichtet.

Mehr Geld sorgt für bessere Pflege

Ja 20% mehr Geld klingt doch schonmal ganz gut oder? Dann bekommen Pflegebedürftige 20 % mehr Pflege und die Pflegekräfte 20% mehr Gehalt und alles ist Super. Dann brauchen wir ja nur noch eine generalistische Ausbildung und die Probleme sind gelöst.

Ich hoffe der Sarkasmus ist entsprechend rübergekommen. Also was passiert wirklich mit dem Geld?
Ja, zu nächst wurde ein großer Teil dafür verwendet die neuen Strukturen im Markt zu verankern. Heißt goldene Zeiten für Unternehmensberater und Personen oder Unternehmen welche sich mit Fort- und Weiterbildung beschäftigen.
Gut, jetzt könnte man sagen das war eine einmalige Investition und das zusätzliche Geld kommt ja dauerhaft in den Markt. Außerdem steht den Pflegebedürftigen nun ja auch ein höheres Budget zur Verfügung. Aber in den meisten Bereichen sind bereits schon vor dem 1.1.2017 neue Vergütungsvereinbarungen ausgehandelt worden. Das heißt die einzelnen Leistungen sind teurer geworden. Dies führt dazu, dass die Pflegebedürftigen die gleichen Leistungen wie zuvor erhalten, da das höhere Budget durch die Preiserhöhungen aufgefressen wird. 
Ja, aber dann haben wenigstens die Pflegedienste und Einrichtungen mehr Geld und können mehr Personal einstellen. So kommen die Pflegebedürftigen zu mehr Zeit mit den Pflegekräften und erhalten eine bessere Pflege. Ich glaube hier ist jeden klar, dass dies nicht der Fall ist und auch nicht sein kann. Weil Geld keine Pflegekräfte produziert und da die nicht da sind können auch keine eingestellt werden.
So und nun sind wir an dem Punkt angekommen, bei dem es wirklich gefährlich für die Pflege wird. Denn was passiert, wenn mehr Geld zur Verfügung steht und ein Mangel herrscht? Ja richtig, es wird teurer!  Was aktuell in einigen Regionen mit besonders wenig Personal passiert ist in dem Zusammenhang besorgniserregend. Die Gehälter steigen und es werden bis zu 3 Monatsgehälter als Ablöse gezahlt. Jetzt denkt man im ersten Moment, das ist doch prima. Das macht die Pflege attraktiver und es zieht mehr Menschen in diesen Beruf. Theoretisch vielleicht, aber praktisch ist dies eher unwahrscheinlich. Mal davon abgesehen, dass hier Pflegekräfte jährlich den Betrieb wechseln um die Ablösen zu kassieren und damit ein kontinuierliches Arbeiten unmöglich wird (Hier kein Vorwurf an die Pflegekräfte, denn diese wollen auch nur ihre Familien ernähren).
Viel wahrscheinlicher ist ein Szenario, dass die Probleme in der Pflege noch verschärft statt sie zu lösen. Denn welche Unternehmen passen ihre Gehälter denn schnell nach oben an? Es sind die privaten Unternehmen im Bereich der Pflege. Die Großen Wohlfahrtsverbände bei denen ein Großteil der Pflege stattfindet, sind auf Grund ihrer Strukturen gar nicht in der Lage so schnell zu reagieren. Dies könnte dazu führen, dass viel Personal in den Privatsektor abwandert,was zurzeit auch schon passiert.
So nun dürfen Sie einmal raten wo denn ein Großteil der Ausbildung von Pflegekräften stattfindet? Richtig, in den Wohlfahrtsverbänden. Haben die aber nun kein Personal mehr um die Ausbildung zu gewährleisten, werden in Zukunft weniger Pflegekräfte ausgebildet, was den Mangel weiter erhöhen wird.
Dies ist halt mal wieder ein schönes Beispiel für, nicht zu Enden gedacht, aber Hauptsache Populär und wie die Umfragen zur Bundestagswahl zeigen bekommen Sie dafür auch noch recht. Damit kann man ja direkt mit der nächsten Milchmädchenrechnung (Generalistische Ausbildung) weitermachen. Denn irgendwie habe ich bei den Textaufgaben in der Grundschule wohl nicht aufgepasst. Man nehme 5 Schüler/innen der Altenpflege und 5 Schüler/innen der Krankenpflege und packe diese in einer Ausbildung zusammen. Wie viele Pflegefachkräfte erhält man nach der Ausbildung? Jetzt muss mir nur noch einer erklären das 10 mehr als 5+5 ist und schon hat man ein Problem weniger.

Meiner Einsetzung nach ist hier ein nicht kalkulierbares Risiko eingegangen worden ohne an die möglichen Folgen zu denken. Hier besteht im höchsten Maße schnell Korrekturbedarf, sonst wird es schwer die Bewegungen im Markt noch einmal zu stoppen. 

Zum Schluss muss ich dann noch einmal sagen, dass es einfach nur traurig ist, wie hier mit Menschen umgegangen wird. Wir stecken Milliarden in völlig unnötige Subventionen für Energien die keiner mehr braucht, für Fahrzeuge die nicht mehr zeitgemäß sind und für Bauwerke die nie fertig werden. Aber für die Menschen, welche zum Großteil verantwortlich für unseren heutigen Wohlstand sind und für die Menschen die unter schlechtesten Bedingungen sich um diese Menschen kümmern, bleibt nur populistischer Aktionismus über.

© Heiko Pietsch

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